Die Zeichenkunst ist aus dem Flüchtigen, aus der Skizze geboren. Meist hat sie eine andere Arbeit vorbereitet oder eingeübt: Malen, Bauen, Konstruieren. So war die Zeichnung Hilfswerk, wenngleich sie in ihrer Unmittelbarkeit immer schon, oft kühner und entschiedener als Malerei, Charakter und Stil des Künstlers offenlegen konnte.
Seit langem ist die Zeichnung auch eigenständiges Kunstwerk, das, wenn nicht Welten, dann doch große Szenarien entfaltet. Sieht man sich bei aktuellen Zeichnern um, reicht das Spektrum von dunklen Vergangenheits-Fiktionen (Marcel van Eeden) bis zu feiner Niemandsland-Kartographie (Jorinde Voigt). Aber es gibt relativ wenige Künstler und Künstlerinnen, die das Zeichnen zu ihrer Hauptbeschäftigung machen. Zu diesen Wenigen gehört Bettina Krieg.
Sie entwirft keine Szenen. Ihre Arbeiten gehen den Weg der Zeichnungs-Geschichte zurück, bleiben jedoch eigenständig. Schritt für Schritt zerstäuben sie die Welt des Konkreten und ziehen sie ins Flüchtige, Skizzenhafte. Deshalb vergibt Krieg keine suggestiven Titel, deshalb zeichnet sie nie Menschen. Die menschliche Gestalt in der Kunst wirbt für das Echte; Leib und Gesicht sind die greifbaren Anhaltspunkte der Existenz, die man sich pastos ölfarbig und fein gepinselt vorstellen mag. Dahinter lauert, unheimlich und doch freundlich, die Abstraktion. Sie formt das vermeintlich bekannte Leben um.
Es gibt Künstler, die ihre Alpträume abbilden. Krieg reduziert Träume und Alpträume gleichermaßen, so dass am Ende selbst der Blick auf sie, die Autorin, ins Vage gelenkt wird. Wie stellt sich ihr Charakter dar, folgt man der Sprache ihrer Zeichnungen? Flucht ins Unkonkrete? Ein grünes Mond-Meer aus Stahlwolle? Die Unordnung der Dinge? Eine fatale, ungeheure Stille? Die manische Präzision, mit der sie ihre ‚Verskizzungen’ in wochenlanger Feinarbeit aufs Papier bringt, spricht für solche Ruhe.
Bei Bettina Krieg ist das Flüchtige nicht unruhig, flirrend wie ein Mückenschwarm. Es ist still und flächig. Die Wirkung der Zeichnungen, gerade der neuen, ist meditativ. Sich selbst begegnet man in ihren Bildern aber nicht – was in einer Zeit, in der man von Automobil- Armaturen und digital gesteuerten Kühlschränken als Individuum angequatscht wird, lebensnotwendig erscheint. Das ist die Utopie der Skizze.